Was macht man, wenn man kreativ und künstlerisch begabt ist, aber das dann auch schon alles ist, was man „gut kann“? Wo bekommt so einer „den richtigen Job“ her, um nicht als brotloser Künstler oder verschrobener Comiczeichner zu enden? So wertvoll und ruhmreich diese Gaben auch sein mögen – ruhmreich leider oft erst post mortem – man will ja eher schon zu Lebzeiten Spass haben, die fabelhaften „Extras“ auf dieser Welt genießen können und wenn möglich ein Riesenfass aufmachen, so oft und lange wie es geht. Auch sehnt sich jeder Kreative nach Aufmerksamkeit und Bestätigung, nach gelegentlichem Schulterklopfen und anerkennendem Nicken. Der Kreative ist in der Regel ein Mensch, der tief im Inneren nichts weiter als geliebt werden will, auch wenn er dies oft unter der harten Schale des Zynikers zu verbergen sucht. Der Kreative sucht das Lob für seinen einzigartigen, unfassbar phantastisch arbeitenden Geist. Auch wenn sich dieses Lob erstmal nur monetär auf seinem Konto ausdrückt – für’s Erste reicht dem Kreativen das.
Wo gibt es denn nun Geld für kreative Geister? Bestimmt nicht in einer Zahnarztpraxis oder auf der Richterbank. Nein! Was dem Kreativen in den guten alten Zeiten die Mäzenen waren, sind heutzutage die Agenturen, welche die Ergüsse ihrer „Kreativlinge“ vermarkten. Heutzutage schaffen die Kreativen nicht mehr große Kunst und für die Ewigkeit bestimmte Denkmäler, sondern Werbespots, Kampagnen und Webseiten, die sich in immer geringeren Halbwertzeiten schon wieder überlebt haben. Immer neu muss es sein, immer „anders aber gleich“, immer up to date. Jeder will die beste Webseite haben, sie muss vor Kreativität nur so strotzen, selbst wenn man mit ihr Staubsauger und Trockenhauben verkaufen will. Jede Anzeige in jedem Magazin muss den flüchtigen Betrachter voller intelligentem Witz und mit makeloser Komposition fesseln, mit dem nackten Arsch ins Gesicht springen, damit man sie auch ja nicht vergisst.
So vergeudet der Kreative in den modernen Zeiten sein Talent also meistens damit, tolle Anzeigen für Brühwürfel zu entwerfen oder interaktive Webseiten für Livesex-Webcams zu produzieren, anstatt der Werbewelt den Stinkefinger zu zeigen und zu versuchen, in die Fußstapfen eines Vermeers oder eines Jackson Pollock zu treten. Aber – und das ist die gute Ausrede der Kreativen für ihren Sturz in das banale Agenturdasein – sie werden mehr oder weniger fürstlich dafür entlohnt, dass sie sich so erniedrigen. Und insgeheim glaubt jeder Agentur-Kreative immer noch daran, dass eines Tages sein gebrochener Künstlerwille wieder heile wird und er endlich den Agenturen dieser Welt den Rücken kehren kann. Drücken wir ihm dafür alle die Daumen! Die Welt ist eine bessere ohne Werbeagenturen, oder? Und ohne Kreative wird es keine Werbung mehr geben. Also ihr Kreativen: MACHT KAPUTT, WAS EUCH KAPUTT MACHT! Verlasst noch heute euer scheiss Büro. Ihr gehört da einfach nicht hin – oder etwa doch?